Vitantonio Liuzzi
Motorsport

Ready for departure! – Formel-E-Rennen auf dem Flughafen Berlin Tempelhof

Die Formel E – eine neue Rennserie des Automobil-Weltverbandes FIA, die sich in die Reihe der Formel 1, Tourenwagen-, Rally- und der Sportwagen-WM einreiht, will mit zukunftsfähigen Null-Emissions-Motorsport neue Wege gehen und beeindruckt dabei nicht nur beim Antrieb. So erlebten mehr als 21.000 Besucher am 23. Mai 2015 den „DHL Berlin ePrix“ – die Deutschlandpremiere der Elektro-Rennserie – bei strahlendem Sonnenschein. Neben spannender Elektro-Motorsport-Action gab es ein großes Rahmenprogramm rund um Elektromobilität.

Wie auf der Carrera-Bahn

Dröhnende Motoren, ohrenbetäubender Lärm – was den einen nervt, lässt das Herz eines jeden Motorsport-Fans höher schlagen. Jeder, der den Start eines Autorennens live miterlebt hat, weiß wovon ich rede. Nach aufleuchten der Startampel heulen die Motoren der Rennboliden auf und das Starterfeld setzt sich mit einer kraftvollen, dröhnend-lauten Lawine in Bewegung. So oder so ähnlich beginnt eigentlich jedes gewöhnliche Autorennen. Nicht aber die Formel E! Die elektrische Rennserie gastierte im Mai zum ersten Mal mit ihrem Rennzirkus in Deutschland. Was das Geräuschniveau an der Rennstrecke angeht, merkte man schnell, dass es sich nicht um ein normales Autorennen handelt. Auf den bei einem Formel 1 Rennen unverzichtbaren Gehörschutz, kann hier getrost verzichtet werden. Vielmehr fühlt man sich an das Surren der heimischen Carrera-Bahn erinnert. Für Vollblut Motorsport-Fans erstmal etwas gewöhnungsbedürftig.

Aber von Anfang an: Zugegeben, als ich das erste Mal von der Formel E gehört habe, war ich etwas skeptisch. Kein Wunder, Elektromobilität tut sich bei und noch etwas schwer und hat noch nicht wirklich Einzug in unseren Alltag gehalten – und erst recht nicht in den Motorsport. Dass Elektromobilität auch Spaß machen kann, zeigen Tesla & Co. Und wer schon mal das Vergnügen hatte, sich hinter das Lenkrad eines Stromers zu setzen, weiß dass diese Autos mit ihrem kraftvollen Drehmoment eine Menge Spaßpotential bieten. Aber ist das auch Garant für spannenden Motorsport? Eindeutig ja! Natürlich schafft eine Armada von vorbeisausenden V10-Motoren eine besondere Atmosphäre, aber Motorsport besteht nicht nur aus akustischen Einflüssen.

Motorsport für die Fans

Die Formel-E-Serie ist in ihrer Premieren-Saison und will vieles anders machen. Das Besondere: das Rennen kommt zu den Fans. Man muss nicht zu abgelegene Rennstrecken auf der grünen Wiese pilgern. Hier finden die Rennen mitten in der Stadt statt. Zwischen den Häuserschluchten von Buenos Aires, am sonnigen Long Beach oder auf dem ehemaligen Flughafen Berlin Tempelhof. Wo einst Verkehrsflugzeuge auf dem Vorfeld abgefertigt wurden, wurde ein 2,5 Kilometer langer Rundkurs mit insgesamt 17 Kurven für das erste Formel-E-Rennen in Deutschland aufgebaut. Inklusive Boxengasse und Fahrerlager. Eine besondere Herausforderung für die Fahrer, denn keiner von ihnen kannte die Strecke von vorherigen Rennen. Hier war Können gefragt. Einzige Möglichkeit zur Vorbereitung auf den Renntag bot das studieren der Streckenskizze oder ein Test im Simulator. In dieser Rennserie wird Fahrern und Renningenieuren wirklich eine Menge abverlangt. In kürzester Zeit müssen die sich auf die Strecke einstellen. Nach zwei Training-Session und Qualifying findet das eigentliche Rennen am selben Tag statt. Jedem Fahrer stehen dabei zwei eigene Fahrzeuge zur Verfügung. Ein Pflichtboxenstopp beim Rennen sorgt für zusätzliche Spannung. Für längere Renn-Action wechseln die Fahrer in ein voll aufgeladenes Fahrzeug, da das Aufladen an einer Ladesäule zu lange und ein Wechsel der Batterien technisch nicht möglich wäre.

Den Fans wird beim Rennen eine besondere Rolle zugeschrieben, denn sie können ihre Lieblingsfahrer aktiv unterstützen. Dank „FanBoost“ erhalten die drei Fahrer mit den meisten Stimmen für fünf Sekunden eine zusätzliche Leistung von 50 kW. Und so buhlten die Fahrer vor dem Rennen via Facebook und Twitter um jede Stimme. In Berlin durften sich Nelson Piquet jr., Charles Pic und Sébastien Buemi über einen Zusatzschub für das Rennen freuen.

Know-How aus der Formel 1

Die Ausgangssituation für alle Fahrer ist gleich. Allen zehn Teams wurden zu Saisonbeginn 40 identische Fahrzeuge zugeteilt, die bei Spark Racing Technology in Frankreich aufgebaut wurden. Zulieferer wie beispielsweise die Formel-1-Spezialisten von Renault waren bei der Entwicklung beteiligt. Die Chassis aus Kohlefaser und Aluminium stammt vom italienischen Spezialisten Dallara, die Batterien mit einer Leistung von 200 kW (270 PS) lieferte Williams Advanced Engineering – ein Schwesterunternehmen des bekannten Williams F1 Teams. Antriebssteuerung und Motormanagement steuerten McLaren Electronics bei.

Gerade in der ersten Saison soll das für Chancengleichheit sorgen. Einzig das Können eines jeden Fahrers und das individuelle Setup entscheiden hier über Erfolg oder Misserfolg.

Vernetzte Rennreifen mit Top-Performance und vorbildlichem Umweltschutz

Nachhaltigkeit spielt nicht nur beim Antrieb eine Rolle. Auch bei der Bereifung geht diese Rennserie einen anderen Weg. Hier spielt nicht nur der Umweltgedanke eine Rolle, sondern auch der Kostenfaktor. Wo es bei der Formel 1 mehrere Trucks Unmengen an Reifen mit verschiedenen Mischungen und Profile für unterschiedliche Witterungsverhältnisse an die Strecke bringen, reicht hier ein Truck aus. Pro Rennen werden jedem Fahrer zwei Sätze Reifen plus zwei Ersatz-Pneus zugeteilt. Die zum Einsatz kommenden Rennreifen MICHELIN Pilot Sport EV sind besonders vielseitig. Dabei ist es vollkommen egal wie die Wetterbedingungen an Strecke sind. Sie sorgen sowohl bei trockenem als auch feuchten und sogar nassen Bedingungen für ausreichend Bodenhaftung und geben dem Rennfahrer jederzeit ein sicheres Fahrgefühl, erklärt Serge Grisin, Projektleiter FIA Formel E bei Michelin. Profil und Reifenmischung ermöglichen den Einsatz auf praktisch jeder Rennstrecke rund um den Globus. Die Reifen kommen mit Asphalttemperaturen zwischen 5 und 50 Grad Celsius zurecht. Die besonderen Anforderungen des elektrischen Antriebs mit dem extrem hohen Drehmoment wurden bei der Entwicklung ebenso berücksichtigt.

Ebenfalls ein absolutes Novum im Formelsport ist die eindeutige Identifizierung der Reifen mittels RFID-Chip (Radio Frequency Identification Device). Mit dem nur wenige Millimeter großen Datenspeicher lässt sich der Weg eines jeden Reifens von der ersten Produktionsstufe über das Rennen bis zur Rückkehr in die Fabrik exakt nachverfolgen. Eine Technik, die Michelin bereits für die Auto- und Nutzfahrzeugsparte erfolgreich nutzt.

Große Fahrer, große Namen

Formel-1, DTM und GP2 – Fahrer aller wichtigen Rennserien sind hier vertreten. Die Formel E trumpft hier richtig auf. Neben den bekannten Piloten Nick Heidfeld, Nelson Piquet jr. und Bruno Senna gibt es auch bekannte Teambesitzer. So greift der ehemalige Formel-1-Pilot Jarno Trulli sogar selbst ins Lenkrad. Und der Franzose Nicolas Prost fährt im Team seines Vaters, dem viermaligen Formel-1-Champion Alain Prost. Auch Hollywood mischt mit. Einer der Miteigentümer des Venturi-Teams ist der Schauspieler Leonardo Di Caprio.

Weltrekord im Rahmenprogramm

Auch zwischen dem Rennprogramm gab es eine Menge zu sehen. Wie erwartend war das Rahmenprogramm auch elektrisch ausgelegt. So fuhren 577 Elektrofahrzeuge im Korso auf dem Flugfeld und sicherten sich somit einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. Stuntfahrer auf Elektro-Motorrädern präsentierten dem Publikum ihre atemberaubenden Kunststücke und zeigten, dass auch unter Strom Loopings und weite Sprünge kein Problem sind. Auch der Nachwuchs kam nicht zu kurz: Teams und Fahrer der FE School Series (Formel-E-Schulserie) und der Formula Student präsentierten sich und drehten beeindruckend schnelle Demorunden auf dem Rennkurs.

So geht’s weiter

Da das diesjährige Rennen bei den Besuchern so gut angenommen wurde, denkt man sogar über einen doppelten Lauf in Berlin Tempelhof nach. Neben einem Rennen am Samstag, könnte die Rennampel auch am Sonntag auf „Grün“ springen.

Wer bis dahin nicht warten möchte: bis Ende der Saison finden noch zwei Rennen statt, die der Fernsehsender Sky live überträgt:

  1. Juni, Moskau, ab 14:30 Uhr
  2. Juni, London, ab 16:30 Uhr

Highlights und interessante Hintergrund-Berichte gibt es außerdem auf dem offiziellen Forumula E YouTube-Channel.

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Daniel Przygoda

Daniel Przygoda aus Dortmund ist im Automobilbereich als Projektingenieur und Journalist tätig. Sein beruflicher Background aus den Bereichen Forschung und Entwicklung bei verschiedenen OEMs sowie Dienstleistern mit fundiertem Fachwissen bringt er mit seiner Leidenschaft für Autos zusammen.

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