DSE-e 400 kW Schnellladung CCS
Technik

400 km in 15 Minuten: Forscher geben Ausblick beim Schnellladen

Das durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Forschungsprojekt „Durchgängiges Schnellladekonzept für Elektrofahrzeuge“ kurz „D-SEe“ gibt Ausblicke auf zukünftige Ladetechnologien. Wie das Projekt umgesetzt wurde und zu welchen Erkenntnissen beim Schnellladen die Arbeitsgruppe, bestehend aus Forschern der Hochschule Bochum und Industriepartnern wie Keysight und Voltavision kam, zeigte sie bei der Abschlusspräsentation in Bochum.

Ganzheitliches Schnellladekonzept: Von der Ladestation bis zum Auto

Mit dem Ziel ein ganzheitliches Schnellladekonzept für Elektrofahrzeuge zu entwickeln startete Anfang 2018 das Forschungsprojekt D-SEe. Ganzheitlich ist in diesem Fall vom Stromnetz über die Ladestation bis hin zum Fahrzeug. Hierfür schlossen sich Forscher, die Hochschule Bochum und Industriepartner zusammen und brachten ihre Kompetenzen aus unterschiedlichen Fachgebieten ein. Die Herausforderung bestand darin eine effiziente und nachhaltige und praxisnahe Lösung für das Schnellladen zu entwickeln.

Stand der Technik: Große Batterien und aufwändiges Kühlkonzept für mehr Reichweite

„Wie weit kommt er denn?“ Der Begriff Reichweite fällt immer wieder, wenn es um Elektrofahrzeuge geht. Aufgrund der Marktanforderungen werden viele Elektrofahrzeuge daher auf hohe Reichweiten optimiert. Für hohe Ladegeschwindigkeiten verfügen diese Fahrzeuge über ein aufwändiges Kühlsystem, um die Batterien während der Ladevorgänge nicht durch Hitze zu sehr zu schädigen. Aktuell auf dem Markt verfügbare Fahrzeuge können mit bis zu 150 kW geladen werden. Um genügend Energie für eine Strecke von 400 Kilometern zu laden, muss eine Zeit von mindestens 35 Minuten aufgewendet werden. Orientierungswerte gaben hier Modelle wie der Porsche Taycan 4S mit einer Batteriegröße von 93,4 kWh und der Hyundai Ioniq 5 mit 77,4 kWh.

Elektroautos für viele Autofahrer noch nicht alltagstauglich

Obwohl die Reichweite aktueller Elektrofahrzeuge der von Modellen mit Verbrennerantrieb kaum nachstehen, gelten für viele Autofahrer diese als immer noch nicht Alltagstauglich. Auch wenn immer leistungsfähigere Batterien in neuen Elektrofahrzeugen verbaut werden, bremst die Ladezeit E-Autos aus. Selbst wenn schnelles Laden möglich ist, muss deutlich mehr Zeit investiert werden als beim Tanken von Benzin oder Diesel. Neben regelmäßiger Langstreckenfahrten ist dieses Kriterium der Ladezeit gerade für Nutzer relevant, die über keine eigene Lademöglichkeit verfügen.

Halbierung der Ladegeschwindigkeit unter praxisnahen Bedingungen

Als Referenz für das Forschungsprojekt wurde ein Mittelklassefahrzeug genommen. Ein üblicher WLTP-Verbrauchswert von 16 Kilowattstunden wurde auf einen Realverbrauchswert von 22 kWh auf 100 Kilometer angehoben. Für die benötigte Batteriegröße ergab sich daraus ein Zielwert von 105 kWh. Technische Verluste wurden hierbei berücksichtigt. 

BOmobil vom Forschungsprojekt D-SEe

Koordination und Forschungsaufbau

Der Aufbau des Gesamtsystems wurde dabei von der Hochschule Bochum koordiniert. Gemeinsam mit sechs weiteren Projektpartner konnten dabei Kompetenzen unterschiedlicher Bereiche für dieses Forschungsprojekt gebündelt werde.

Keysight: Effiziente Ladeleistungselektronik

Das US-amerikanische Unternehmen entwickelte eine effiziente Lade-Leistungselektronik für Schnellladestationen. Die Ladestation SL1700A ist modular aufgebaut und erweiterbar. Sie verfügt über eine Leistung von mehr als 450 Kilowatt, sowie einer Spannung von 1.000 Volt. Damit verknüpft ist eine Wasserkühlung für das Ladekabel, welches eine Stromabgabe von über 900 Ampere ermöglicht.

Die Ladetechnik von Keysight überzeugt durch ihren hohen Wirkungsgrad von rund 96 Prozent. Erreicht wird dies durch die Verwendung von Lithiumcarbid Halbleitern. Diese müssen weniger stark gekühlt werden als vergleichbare Kupfer-Halbleiter, was die Verlustleistung gering hält. Weitere Vorteile sind die hohe Haltbarkeit und damit Zuverlässigkeit, sowie der geringe Platzbedarf. Durch den modularen Aufbau ist die SL1700A erweiterbar.  

Christoph Dörlemann von Keysight über das Thema Schnellladen und Daniel Przygoda, D-SEe

Viele der Forschungsergebnisse – vor allem das Applikations-Know-how zur Schnellladetechnologie – gingen direkt in die Entwicklung neuer Produkte ein, so dass Keysight für zukünftige Fahrzeug- und Ladetopologien hervorragend aufgestellt ist.

Dr.-Ing. Christoph Dörlemann,
Section Manager Technology Strategy Automotive & Energy Solutions | Scienlab EV Test Solutions, Keysight Technologies

Plug-and-Play On-Board-Charger von Innolectric

Neben der Leistungsübertragung stellt der vom Startup Innolectric entwickelter On-Board-Charger eine Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladestation sicher. Das Plug-and-Play Modul ist in verschiedenen Varianten für den Pkw- und Nutzfahrzeugbereich entwickelt worden und kam im Erprobungsfahrzeug des Forschungsprojekt zum Einsatz. Über die CAN-Bus-Schnittstelle werden Informationen wie der Batteriestand des Fahrzeugs, sowie die Werte der Spannungen und Ströme ausgetauscht. Die Leistungselektronik bietet mit 96 Prozent einen hohen Wirkungsgrad und erfüllt aktuelle internationale Normen für AC- und DC-Laden um Ladevorgänge an verschiedenen Ladestationen sicherzustellen.

Felix Burmeister, innolectric On-Board-Charger

Im Rahmen dieses Projekts haben wir das Lademodul DC Charging Controller, kurz D3C, entwickelt. Das Modul bietet eine Kommunikationslösung für das DC-Schnellladen, das ohne weiteren Entwicklungsaufwand in Lieferwagen, Arbeitsmaschinen und vielen weiteren Fahrzeugtypen eingesetzt werden kann. Es übernimmt die vollständige Kommunikation mit der Ladesäule und steuert auch notwendige Hardware wie Aktoren und Schütze an.

Felix Burmeister,
System Engineer, innolectric AG  

Voltavision: Prüfstand-Equipment zur Sicherstellung der Schnellladefähigkeit

Voltavision bietet als erfahrener Testdienstleister Prüfstand-Equipment und Labordienstleistungen für die Automobilindustrie. Das Bochumer Unternehmen hat bei diesem Forschungsprojekt die Schnellladefähigkeit der verschiedenen Komponenten speziell für die hohen Spannungen und Ströme sichergestellt.

Kein aufwändiges Kühlkonzept Dank Zellauswahl und geringer Ladezeit notwendig

Bei der Auswahl der Zellen standen die Haltbarkeit und die Schnellladefähigkeit im Fokus. Nach verschiedenen Simulationen und Lebenszyklen-Tests hat die Hochschule Bochum eine Zellauswahl für das Erprobungsfahrzeug getroffen. Die thermische Entwicklung wurde ebenso analysiert. Durch die kurze Ladedauer von 15 Minuten steigt die Temperatur der Batterien nur um 26 Grad Celsius an. Auf ein aufwändiges Kühlkonzept, wie sie beispielsweise bei Fahrzeugen wie dem Porsche Taycan verwendet werden muss, um Schnellladungen zu gewährlisten, könnte verzichtet werden.

Erprobungsfahrzeug mit 800 Volt-Technik

Das aus anderen Forschungsprojekten bekannte BOmobil wurde für den Einsatz bei D-SEe auf ein 800 Volt Batteriesystem umgerüstet. Durch die höhere Spannung reduziert sich der Strom und damit auch die Ladeverluste. Die 105 kWh große Batterieeinheit ist auf einer Kühlplatte montiert und wurde unterflurig zwischen den beiden Achsen platziert. Das Gewicht des Moduls beträgt rund 634 Kilogramm. Die Basis des Erprobungsfahrzeug ist übrigens ein Opel Zafira, noch aus der Produktion des ehemaligen Opel-Standort in Bochumer stammt.  

BOmobil 800 V Schnellladen CCS Hochschule Bochum

Eine hohe Ladespannung von 1.000 Volt ist Grundvoraussetzung für Schnellladen.

Dr.-Ing. Christoph Dörlemann,
Section Manager Technology Strategy Automotive & Energy Solutions | Scienlab EV Test Solutions, Keysight Technologies

Ja, Schnellladen ist möglich!

Bei der Abschlusspräsentation Ende Oktober 2022 führten Vertreter des Forschungsprojektes das Schnellladekonzept an genau diesem Erprobungsfahrzeug vor. Das Handling des für den Landevorgang benötigte flüssiggekühlte Schnellladekabel unterschiedet sich dabei kaum vom dem anderer Schnellladestationen. Ein Überwachungsmonitor am Versuchsaufbau bestätigte dabei die Werte der Forschungsergebnisse. Die mittlere Ladeleistung über die Ladedauer von 15 Minuten betrug 392 Kilowatt. Dabei wurden 98,1 Kilowattstunden Strom in die Batterie eingespeist. Der Ladestrom betrug 460 Ampere.

DSE-e Ladekurve einer Schnellladung

Zeitersparnis kostet!

Das Projektergebnis bestätigte, dass Mittelklassefahrzeuge innerhalb von 15 Minuten für eine Strecke von 400 Kilometern geladen werden können – und das unter praxisnahmen Bedingungen. Für diese Anforderungen musste ein größeres Batteriesystem einer höheren Kapazität gewählt werden. Allerdings konnte dabei auf ein aufwändiges Kühlsystem, wie es bei einigen der aktuell verfügbaren Fahrzeuge verwendet wird, verzichtet werden. Nichtsdestotrotz ist der Aufwand auf Seiten der Ladetechnik für eine Schnellladung deutlich höher. Leistungsfähige Ladestationen haben einen höheren Platzbedarf und sind deutlich teurer. Zudem bedeutet jeder Schnellladevorgang Stress für die Batteriezellen. Der steigende Verschleiß geht auf die Haltbarkeit der Fahrzeugbatterie und damit auf Kosten des Fahrzeugs.

Daniel Przygoda mit Dr. Christoph Dörlemann von Keysight, Schnellladen

Weitere Informationen zum Forschungsprojekt D-SEe

Weitere Informationen zum Forschungsprojekt und den Proejktpartnern auf www.dsee-project.com

Fotos: Christina Stentenbach, Porsche, Hyundai Motor Deutschland

Daniel Przygoda

Daniel Przygoda aus Dortmund ist im Automobilbereich als Projektingenieur und Journalist tätig. Sein beruflicher Background aus den Bereichen Forschung und Entwicklung bei verschiedenen OEMs sowie Dienstleistern mit fundiertem Fachwissen bringt er mit seiner Leidenschaft für Autos zusammen.

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