Wie wäre es, jeden Tag mit seinem Klassiker fahren zu können und nicht nur für sonntägliche Ausfahrten? Einer, der als besonders alltagstauglich gilt, ist der Mercedes-Benz W124. Hat die erste Modellgeneration der E-Klasse das Zeug zum Daily Driver?
Für mich sind klassische Autos immer schon etwas besonders. Würde ich mir einen Old- oder Youngtimer zulegen, würde ich ihn hegen, pflegen und besondere Anlässe suchen, um dieses Schmuckstück aus der Garage zu lassen. Eigentlich viel zu schade, wenn man nicht jeden Tag damit fahren könnte, oder? Für viele ist ein zusätzliches Fahrzeug schlichtweg nicht realisierbar. Warum sich dann nicht ein klassisches Alltagsauto zulegen? Und was sollte beachtet werden? Ich habe mit jemanden gesprochen, der sein modernes Auto gegen einen jungen Klassiker getauscht hat.
Vom modernen Auto zum Klassiker
Stefan Kasseckert ist als Projekt-Ingenieur im Automobil-Bereich in Böblingen tätig. Im Alltag hat er bislang auf den Komfort eines E-Klasse T-Modells gesetzt. Außen schwarz und Innen mit braunem Leder. Luftfahrwerk, Massagesitze… Der Erstbesitzer hat es anscheinend sehr gut gemeint. Nach über 300.000 Kilometern musste der Diesel dennoch weg. Und das, obwohl er dank guter Pflege noch gut im Futter stand. „Bei den hohen Fixkosten für einen Diesel und der ständigen Diskussion um Diesel-Fahrverbote, wollte ich für mich persönlich etwas ändern“.
Begeisterung für altes Blech
Warum dann kein modernes Auto, wird man sich fragen. Stefan hat Spaß, selbst Hand an Autos anzulegen. „An der E-Klasse habe ich bereits schon viel selbst gemacht. Bei einer so hohen Laufleistung bleibt das nicht aus. Und Dinge wie Bremsen, Auspuff und Ähnliches sind nicht all zu kompliziert.“, so der gelernte Kfz-Mechatroniker. „Außerdem habe ich schon Erfahrung mit älteren Fahrzeugen gesammelt.“ In Stefans Garage steht noch ein Mercedes Strich 8, den er vor drei Jahren selbst restauriert hat. Der liebevoll hergerichtete Benz Jahrgang 1974 wird aber nicht mehr im Alltag bewegt. Der 54 PS starke Diesel wird nur noch an Wochenenden für entspannte Ausfahrten oder Oldtimer-Rallyes aus der Garage geholt.
Bewusste Entscheidung für einen Alltags-Klassiker
„Für den Mercedes W124 habe ich mich ganz bewusst entschieden.“, begründet Stefan seine Entscheidung. Der Gebrauchtwagen- und Ersatzteile-Markt bietet noch gute und bezahlbare Auswahl. Außerdem können die ersten Modelle bereits eine H-Zulassung bekommen. Mit diesem Mercedes fährt man ein besonderes Auto mit Technik, an der ich noch selbst Hand anlegen kann. „Beim W124 habe ich noch mehr unter Kontrolle, als bei modernen Autos. Hier steckt einfache Mechanik unter der Haube, wo man Probleme hört und sie nicht über einen Diagnosestecker auslesen muss. Und all dies für einen überschaubaren Preisrahmen.“
Mercedes-Benz W124
Der W124 gehört zu den Fahrzeugen der oberen Mittelklasse, welches zwischen den Jahren 1984 und 1997 gebaut wurde. Während seiner Bauzeit wurde 1993 offiziell die Modellbezeichnung „E-Klasse“ eingeführt.
Bei den Antrieben standen Motoren mit Reihen 4- und 6-Zylindern zur Auswahl. Für das Top-Modell gab es sogar V8-Motoren. Zum einen den 400 E und den E 500. Letzterer lief bei Porsche in Zuffenhausen vom Band. Der Sportwagenbauer leistete für das Top-Modell viel Entwicklungsarbeit und gab der Performance-Limousine den letzten Feinschliff. Doch auch in die normalen Modelle floss jede Menge Ingenieurkunst ein. So zählte ABS bereits 1988 und der Fahrer-Airbag 1992 zur Serienausstattung. Die windschlüpfrige Karosserie und der verkleidete Unterboden sorgen für einen noch heute guten Luftwiderstandbeiwert.
Gebrauchtwagen-Preise und Marktlage
Alleine diese Vorteile lassen die Gebrauchtwagen-Preise junger Klassiker, die an der Schwelle zu den 30 Jahren stehen, oft ansteigen. Der Mercedes W124 ist bereits auf dieser Schwelle. Die Preise auf dem Gebrauchtwagenmarkt für fahrbereite Exemplare starten im Bereich zwischen 1.000 und 3.000 Euro. Hier muss man allerdings noch etwas Reserven zurückhalten. Ordentliche Fahrzeuge beginnen ab etwa 6.000 Euro und können durchaus hoch bis 10.000 Euro gehen. Seltenere Karosserie-Varianten, wie Kombis – womöglich mit 7 Sitzen können richtig teuer werden. Aber auch Coupé, Cabriolet oder auch die stärkeren Motorisierungen verlangen einen Aufschlag.
Zuverlässiger Ruf
Nicht ohne Grund erfreut sich die erste Modellgeneration der Mercedes E-Klasse immer noch an hoher Beliebtheit. Ab und zu gibt es noch Fahrzeuge, die als Taxis genutzt werden. In anderen Ländern gehört der Mercedes W124 zum alltäglichen Straßenbild. Die einfache und standfeste Technik ist beliebt in vielen Ländern Nord-Afrikas und Ost-Europa.
Schwachstellen
Auf welche Bauteile oder auf welche Stellen sollte man ein Auge werfen, wenn man sich einen potentiellen W124 ansieht? Es gibt bekannte Schwachstellen in der Baureihe. Wenn man aber bewusst vor dem Kauf auf diese Stellen achtet, kann man sich jede Menge Arbeit sparen. Rost ist ist leider ein größeres Problem – wenngleich es nicht offensichtlich ist. Stellen wie an der Hinterachs- und Wagenheberaufnahme und vor allem unter der Kotflügel-Verkleidung erkennt man oft nicht auf den ersten Blick. Hier sollte man genau hinschauen. Kleine Roststellen verbergen oft leider eine größere Überraschung. Eine ebenfalls anfällige Stelle ist der Bereich um den Wischwasser-Behälter. Auf der technischen Seite – vor allem beim Antrieb, sieht es besser aus. Die Motoren gelten als langlebig und robust.
„Die Blecharbeiten sind zwar mühselig aber durchaus machbar.“ erzählt Stefan. „Schweißen konnte ich vorher nicht aber mit jeder weiteren Naht wird es besser.“ Bessert man sorgfältig aus, hat man noch lange Freude mit seinem W124 und keine Probleme bei der nächsten Hauptuntersuchung.
Vorteil H-Kennzeichen
Die ersten Modelle des Mercedes W124 tragen bereits schon ein H-Kennzeichen. Was bedeutet das genau? Ist ein Fahrzeug mindestens 30 Jahre alt und befindet sich in einem originalen oder zeitgemäßen Zustand und ist technisch sicher, kann eine Prüforganisation (TÜV, DEKRA, GTÜ) ein Gutachten erstellen, mit dem das Fahrzeug ein H-Kennzeichen tragen darf. Die Vorteile sind, dass auch solche Fahrzeuge Umweltzonen befahren dürfen. Darüber hinaus ist die Kfz-Steuer mit 191 Euro pro Jahr recht niedrig und viele Versicherungen bieten günstige Tarife an.
Mercedes 230 E – 4-Zylinder mit 132 PS
Stefan hat sich für den Mercedes-Benz als Limousine mit einem 132 PS-starken 4-Zylinder mit 2.3 Liter Hubraum Benziner entschlossen. „Der M102 ist ein robuster und kräftiger Motor, der in der Anschaffung nicht zu teuer ist.“ Die Leistung reicht aus, um auch im Verkehr gut unterwegs zu sein. Beim Sprint auf 100 km/h braucht die Limousine mit dem 4-Stufen Automatik-Getriebe etwas über 11 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 195 km/h. Auch wenn die Fahrleistungen mit denen aktueller Fahrzeuge mithalten können, sieht es beim Verbrauch im Vergleich zu heutigen Autos etwas anders aus. Da ist der Benz doch ein kleines bisschen durstiger. „Mein Durchschnittsverbrauch liegt bei etwa 10,5 Litern auf 100 Kilometern. Das geht aber noch in Ordnung.“
Auf der einen Seite ist der Kraftstoffverbrauch höher. Auf der anderen Seite gilt der Motor als sehr robust und wartungsfreundlich. Ersatzteile sind gut verfügbar. Einige bekommt man sogar noch direkt über Mercedes-Benz. Die Preise liegen größtenteils noch im Rahmen.
Ein Klassiker wird der 124er nicht mehr – das ist er längst. Praktisch, komfortabel und zumindest als Vierzylinder auch im Unterhalt absolut erschwinglich. Stocksteif, humorlos und sehr verbindlich – man möchte sich doch wenigstens auf sein Auto verlassen können!
Arild Eichbaum, Classic-Car-Jounalist, AutoRild.de
Fazit: Kaufen oder nicht kaufen?
Auch wenn die Preise für den Mercedes W124 langsam anziehen, lohnt es sich, noch auf den Zug aufzuspringen. Wer sich einen guten Überblick verschafft, kann noch ordentliche Fahrzeuge finden, wie beispielsweise Kollege Paul-Janosch Ersing vom Podcast Autotelefon. Der Auto-Journalist hat, genau wie Stefan, auch einen 230 E, den er aus erster Hand aus pfleglichem Erstbesitz vor ein paar Jahren übernommen hat. Der 93-jährige versicherte ihm, dass der Wagen noch kein Regen gesehen hätte. Bei ihm schient Rost zum Glück keine so große Rolle zu spielen, wie bei den meisten anderen W124.
Besitzt man erst so ein Fahrzeug, setzt man sich gerne mit der Technik und Historie auseinander und lernt viel dazu. Bei Reparaturen und Instandsetzungsarbeiten kommt dies einem dann zugute. Die Technik ist zum Glück noch leicht verständlich und man kann viel selbst machen.
Fotos: Stefan Kasseckert, Daimler AG
Vorschau Teil 2: Fahrbericht Mercedes 230 E
Wie fährt sich eigentlich ein solcher Klassiker? Nachdem ich mir den Mercedes W124 von Stefan unter die Lupe genommen habe, durfte ich sogar selbst hinters Steuer und den fast 30 Jahre alten Benz auf eine ausgiebige Testfahrt ausführen. Wie gut er sich macht, könnt ihr im zweiten Teil lesen.