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Fahrbericht, Mercedes-Benz, Youngtimer und Oldtimer

Mercedes W124 – Klassik-Fahrbericht 230 E

Wie fährt sich eigentlich ein fast 30 Jahre alter Benz mit 200.000 Kilometern auf der Uhr? In diesem Teil der mehrteiligen Serie zum W124 darf ich hinter das Steuer eine Mercedes 230 E.

Junger Klassiker

Für die einen ist es altes Blech und für andere gehen bei Autos aus den 1980er und 90er Jahren das Herz auf. Ich muss gestehen, dass ich viele dieser Autos aus meiner Kindheit schon lange nicht mehr auf dem Schirm hatte. Bei jedem neuen Auto, welches neu auf den Markt kommt, bin ich gespannt, wie es sich fährt. Die neuen technischen Gimmicks und Komfort-Funktionen sind einfach immer wieder beeindruckend. Dass aber auch einfach Technik eine Menge Spaß machen kann, wollte mir Stefan Kasseckert beweisen. Er hat einen Mercedes W124 Baujahr 1992 wieder fit für den Alltag gemacht:

Teil 1: Kaufberatung – Ein Klassiker für jeden Tag?

Mercedes-Benz 230 E

Der W124 gilt für viele als der letzte echte Mercedes. In dieser ersten Generation der E-Klasse floss jede Menge Engineering. Für die damalige Zeit ein modernes Auto. In Sachen Verarbeitungsqualität ist dieser Mercedes heute noch Spitze.

Altes Blech mit frischer Technik

Der junge Klassiker soll schließlich im Alltag auf der Straße bewegt werden. Nach mehreren Wochen Arbeit steht der Mercedes W124 von Stefan Kasseckert wieder gut da. Das Angebot, mich selbst hinters Steuer zu setzen, nehme ich liebend gerne an. Ob das eine große Umstellung für mich sein wird?

Retro-Feeling im Innenraum

Klick! Hier wird noch der Schlüssel ins Schloss gesteckt. Zumindest gibt es eine Zentralverriegelung. Ich lasse mich auf einen weichen Lammfell-Bezug auf dem Fahrersitz fallen. Gemütlichkeit ist es. Und beim Blick in den Rückspiegel sehe ich in die treuen Augen eines kleinen Wackel-Dackels. Da bin ich nun: zurück in der Zeit, als ich Autos wie diesen hier auf dem Weg in den Kindergarten oder der Grundschule bestaunt habe.

Softtouch-Oberflächen oder Piano-Lack gab es in den 1980ern (zum Glück) noch nicht. Die Fahrzeug-Innenräume von damals haben einen ganz anderen Charakter. Geradliniges Design und wenige Schalter. Man gewinnt einen schnellen Überblick. Dem Innenraum-Design sieht man das Alter schon an. Zum Glück aber nicht den Polstern, die immer noch einen frischen Eindruck machen. Zwar ist der Klarlack des Wurzelholz-Dekors an zwei Stellen gerissen, aber darüber sehen wir hinweg. Stefan hat einfach mal einen H&R-Sticker über den Riss geklebt. „Hat man schließlich früher auch so gemacht!“, lacht er. „Vielleicht finde ich noch Ersatz, damit das auch ordentlicher ausschaut.“

Fahreindruck: Ehrlich und direkt

Wie es sich für einen Benz gehört, hat auch dieser hier ein Automatikgetriebe. Also Fahrstufe in „D“ und immer dem Stern auf der Motorhaube nach, der uns bei bestem Wetter durch das Würzburger Umland führt. Der W124 macht einen entspannten Eindruck. Allerdings dreht er schon etwas höher, was aber nicht weiter stört. Bei der 4-Stufen-Automatik ist das auch nicht verwunderlich. Die Getriebe aktueller Mercedes-Modelle haben gut doppelt so viele Fahrstufen.

Exzellente Verarbeitungsqualität

Nichts klappert, alles wirkt frisch. Für seine exzellente Verarbeitung war der Mercedes W124 schon damals bekannt. Und auch heute noch stimmt die Qualität. Die schön direkte Lenkung vermittelt ein echtes und direktes Fahrgefühl. Für eine gute Straßenlage sorgt das generalüberholte Fahrwerk. Sämtliche Gelenke und Lager sind ersetzt und spröde Gummis ausgetauscht worden.

Nicht unsportlich

Schon nach ein paar Kilometern merke ich, dass man nicht unbedingt zaghaft in die Kurven gehen kann. Der nimmt die Kehren gerne flott und ist mit dem Heckantrieb sehr agil. Was die Motorleistung angeht, braucht sich der Mercedes mit seinen 132 PS ebenfalls nicht verstecken. Auch schnelles Tempo ist kein Problem. Dank der hohen Verwindungssteifigkeit, der super Verarbeitung und der haltbaren Bauteile gibt es auch keine Klappergeräusche. Was damals schon Premium war, ist es heute immer noch.

Der W124 ist für mich so etwas wie die Krone des Automobilbaus. Klar, danach kam ständig mehr Elektronik ins Auto – für bessere Unterhaltung und mehr Sicherheit. Aber in Sachen Grundkomfort und Langlebigkeit hat sich seitdem nicht mehr viel getan. Ich bin sehr glücklich mit meinem Opa-Benz (230 E Automatik) und werde ihn hoffentlich noch viele Jahre lang fahren können.

Paul-Janosch Ersing, AUTOTELEFON – Der Podcast über Autos

Schon damals: Ausgefeilte Aerodynamik

Schon damals haben die Entwicklungsingenieure Pionierarbeit in Sachen Aerodynamik geleistet. Der Mercedes W124 hat erreichte einen cw-Wert von 0,25 – genau wie die aktuelle E-Klasse. Und selbst Fahrzeuge wie der neue Golf 8 erreichen lediglich einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,275. Während der Fahrt trüben demnach störende Windgeräusche kaum den Fahrgenuss.

Früher war alles… übersichtlicher!

Ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen aktuellen Fahrzeugen und solchen, wie der W124, ist die Übersichtlichkeit. Schon bei der Überlandfahrt habe ich dies gemarkt und bei der Fahrt durch die Innenstadt wurde dies offensichtlicher. Die schmalen Fensterrahmen und die großen Glasflächen sorgen für eine gute Rundumsicht. Dank der gut einschätzbaren Karosserie ist auch das Einparken und Rangieren auch ohne Assistenzsysteme problemlos möglich. Zum Glück habe ich es nicht verlernt. Denn obwohl so gut wie jedes Testauto über Parksensoren und Rückfahrkameras verfügt, vermisse ich diese kleinen Helferlein im W124 nicht.

Seitenansicht
Der Mercedes-Benz W124 wurde von 1984 bis 1997 gebaut.

Praxisverbrauch Mercedes 230 E

Im Jahre 1992 war Downsizing noch ein fremder Begriff. Turbotechnik gab es – zumindest bei den W124 mit Benzinmotor – nicht. Trotz der windschlüpfrigen Karosserie kann der Mercedes nicht ganz an die Verbrauchswerte moderner ran kommen. Dennoch braucht man keine Angst haben, dass der Mercedes einen unter den Tisch säuft. Der Kraftstoffverbrauch bewegt sich für die Mittelklasse-Limousine noch in einem humanen Bereich. Mercedes hat den Durchschnittsverbrauch mit 9,5 Litern Super auf 100 Kilometern angegeben, was in der Praxis bei entspannter Fahrweise auch durchaus zu realisieren ist. Da reicht eine Tankfüllung für gute 500 bis 600 Kilometer. Wichtig: für E10 ist der Motor nicht freigegeben!

Fazit

Nun bin ich wirklich überrascht und merke, dass ich viel zu selten in klassischen Autos sitze. Viele meiner Vorurteile, die ich gegenüber dem Mercedes W124 hatte, musste ich nach der Fahrt ablegen. Ein Fahrzeug in dem Zustand steht einem aktuellen Auto fahrtechnisch in kaum etwas nach. Das aufgefrischte Fahrwerk bietet eine gute Straßenlage mit genügend Komfort. Doch vor allem die direkte Lenkung, mit der sich der Mercedes zielgenau steuern lässt und eine ehrliche Rückmeldung gibt, bringt Fahrspaß. So ein direktes und ehrliches Lenkgefühl gibt es in neuen Autos kaum mehr. Auch die Leistung des 230 E reicht aus, um im Alltags-Verkehr zügig unterwegs zu sein.

Daniel Przygoda W124
Mercedes-Benz W124, Baujahr 1992

Fotos: Stefan Kasseckert, Daimler AG

Vorschau: Teil 3 – Ratgeber

Im dritten Teil gibt es einen Ratgeber, in dem wir uns dem Optimierungs-Potential des Mercedes W124 befassen. Welche Bauteile bringen mehr Fahrspaß, Komfort oder sehen einfach gut aus? Und worauf ist zu achten, um nicht die H-Zulassung aufs Spiel zu setzen?

Daniel Przygoda

Daniel Przygoda aus Dortmund ist im Automobilbereich als Projektingenieur und Journalist tätig. Sein beruflicher Background aus den Bereichen Forschung und Entwicklung bei verschiedenen OEMs sowie Dienstleistern mit fundiertem Fachwissen bringt er mit seiner Leidenschaft für Autos zusammen.

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