Der Reifenkauf ist keine einfache Sache, doch seit 2012 können Verbraucher bestimmte Kriterien mit Hilfe des Reifenlabels vergleichen. Diese Kriterien spiegeln bestimmte Eigenschaften von neuen Reifen wieder. Doch wie verhält sich ein Reifen während seiner gesamten Lebenszeit? Kann ein abgefahrener Reifen überhaupt noch sicher genug sein? Ich habe mehr über die Thematik erfahren und alt gegen neu miteinander vergleichen dürfen.
„Reifen sind Reifen!“ Könnte man meinen. Doch in Gummi und Profil steckt jede Menge Knowhow. Damit ein solcher Reifen bei jeglichen Bedingungen gut und sicher funktioniert – und das nicht nur wenn er neu ist. Doch wann ist Zeit für eine neue Bereifung? Und ist man mit Mindestprofil überhaupt noch sicher unterwegs?
Ist ein abgefahrener Reifen immer schlecht?
Mit zunehmender Nutzung ändern sich verschiedene Eigenschaften eines Reifens. Ein abgenutzter Reifen muss aber nicht gleich schlecht sein. Beispielsweise kann sich die Bremsleistung eines Reifens verbessern, da mit schwindendem Profil die Auflagefläche steigt. Ein weiterer Punkt ist die steigende Effizienz. Im abgenutzten Zustand reduziert sich der Reibwert und damit der Kraftstoffverbrauch. Anders verhält es sich oft bei Nässe. Mit dem sich reduzierendem Profil verlieren einige Reifen auch ihre guten Fahreigenschaften bei Nässe und gerade das ist sicherheitsrelevant!
Praxis-Test: Unterschiede bei Nässe
Um die Unterschiede zwischen neuen und gebrauchten Reifen zu verdeutlichen, hat Michelin praktische Fahrversuche vorbereitet. Auf einer bewässerten Fahrbahn sollten mehrere Bremsungen aus Tempo 80 absolviert werden. Für den Praxistest wurden mehrere identische Fahrzeuge mit unterschiedlichen Reifen ausgerüstet. Neben neuen Reifen mit vollem Profil (8 Millimeter), gab es dasselbe Reifenmodell auch im abgefahrenen Zustand. Abgefahren bedeutete in diesem Fall, dass das Profil noch 1,6 Millimeter betrug und sich somit noch die gesetzliche Mindestanforderung erfüllt.
Im direkten Vergleich sind diese 1,6 Millimeter erschreckend wenig. In einem so verbrauchten Zustand traut man dem Reifen nicht mehr viel zu. Aus diesem Grund zögern die meisten Autofahrer nicht und ersetzen bereits deutlich früher ihre Bereifung.
Bremsweg
Wie wichtig eine Mindestanforderung bzw. Kennzeichnung für gebrauchte Reifen wäre, macht der Test mit einem Fremdreifen deutlich. Durchgeführt wurden dabei mehrere Bremsungen auf nasser Fahrbahn. Gemessen wurde dabei der Weg von Tempo 80 auf 20. Wo der neue Reifen mit vollem Profil einen Wert zwischen 49 und 55 Metern erreicht, sind es im abgefahrenen Zustand schon über 70 Meter. Gerade bei Gefahrenbremsungen können wenige Meter schon entscheidend sein. Hier liegt der Unterschied bereits bei vier (!) Autolängen.
Bodenhaftung auf dem Handlingkrus
Noch beeindruckender war der Vergleich auf bewässerter Strecke. Mit den Testfahrzeugen Audi A3 mit Frontantrieb bekam man auf dem Rundkurs schnell ein gutes Gefühl über die Leistungsfähigkeit des Reifens. Meine erste Vergleichsfahrt begann ich mit dem abgefahrenen Fremd-Reifen. Mit normalem Tempo versuchte ich mich an die Haftgrenze zu tasten. Der Reifen gab mir gleich zu Beginn ein ungutes Gefühl. Kaum, dass ich mich an die Bedingungen gewöhnen konnte, schob der Audi in einer schärferen nach außen hinabfallende Kurve und ich kam prompt von der Fahrbahn ab. Puh… Zwar habe ich diese Situation auch ein wenig herausgefordert aber trotz der Rückmeldung, die der Reifen mir gegeben hat und dem nicht besonders hohen Tempo, war ich dennoch überrascht.
Im Laufe dieses Vergleichs könnte ich bei selben Bedingung und identischen Fahrzeugen den Michelin Pilot Sport 4 testen, der so konstruiert wurde, dass er seine Konstanz behält und auch im abgefahrenen Zustand bzw. mit Mindestprofil von 1,6 Millimetern noch gute Fahreigenschaften im nassen leistet. Trotz seines Zustands fühlte sich der Michelin-Reifen durchweg positiv an. Zum einen verhielt sich der Reifen über verschieden stark bewässerte Fahrbahnoberflächen konstant gut ohne aufzuschwimmen und vermittelte zum anderen eine gute Rückmeldung über die Bodenhaftung in Kurven.
Profil-Design für Konstanz während der gesamten Lebensdauer
Wie genau dieser Reifen diesen Spagat während seiner gesamten Lebensdauer schafft, wird deutlich, wenn man sich den Profilaufbau anschaut. Das Profil des Michelin-Reifens hat ähnelt in dieser Ansicht einem „U“. Die Breite der Rille ändert sich kaum mit zunehmender Abnutzung. Das Vergleichsmodell eines Mit Mitbewerbers wird zunehmend schmäler, was an seiner V-förmigen Rillen liegt.
Neue Produktionstechniken: 3D-Druck bei der Reifenproduktion
Warum überhaupt gibt es solche Unterschiede? Neben der Reifenmischung hängen die Fahreigenschaften mit dem Profildesign und auch mit der Reifenproduktion zusammen. Die Herstellung von Reifen mit V-förmigen Rillen ist wesentlich einfacher. Neue Technik bei der Produktion der Reifen ermöglichen nun auch neue Layouts bei der Erstellung der Reifenformen. Bislang wurden Druckguss-Formen verwendet. Michelin Formen setzt nun Formen ein, die mit einem 3D-Druckverfahren hergestellt werden und deutlich komplexere Designs ermöglichen. Durch die im Sinterverfahren entstehenden Formen für die Reifen, können die beschriebenen U-förmigen Profilformen realisiert werden. Je nach Reifenmodell sind sogar Profilformen möglich, die nach unten hin breiter werden (Tropfenform).
Video-Empfehlung: „Michelin fordert Test für gefahrene Reifen“
Mein Kollege Jens Stratmann von voice-over-cars.com war zusammen mit mir bei Michelin und hat darüber ein Video produziert:
Reifenlabel für mehr Transparenz
Derzeit bietet das Reifenlabel eine gewisse Orientierungshilfe. Es sieht ähnlich aus wie die Labels, die sich im Elektronikfachmarkt an Kühlschränken, Fernseher und anderen Elektrogeräten befinden und liefern Auskunft über deren Energieeffizienz. Eine ähnliche Kennzeichnung gibt es auch in Form eines Reifenlabels. Reifenhersteller und Handel sind seit dem Jahr 2012 verpflichtet, angebotene Reifen zu kennzeichnen. Das Reifenlabel liefert Informationen über Kraftstoffeffizienz, Nasshaftung sowie Abrollgeräusche. Die Ergebnisse dieser, aus einer EU-Richtlinie festgelegten Kriterien, werden mit neuen Reifen ermittelt.
Mindestanforderungen und mehr Informationen für bessere Vergleichbarkeit
Was während der späteren Nutzung passiert und wie sich der Reifen verhält, ist nicht zu erkennen. Aus Kundensicht ist die Sicherheit während der gesamten Nutzungsdauer sowie wie die Haltbarkeit ebenso relevant. Denn die Länge der Nutzung ist nicht nur ein Kosten- sondern auch ein Nachhaltigkeitsfaktor. Wird ein Reifen früher als nötig ersetzt, fällt dies negativ ins Gewicht der Umweltbilanz.
Bisherige Neureifentests auch mit gebrauchten Reifen
Der Reifenhersteller Michelin unterstützt daher den Vorschlag eine Mindestanforderung für das Bremsverhalten bei Nässe auch bei gefahrenen Reifen anzuwenden. Reifenkunden können dadurch besser vergleichen und den Reifen länger und vor allem sicherer nutzen. Eine passende Vorgabe über eine Grundsatzrichtlinie zur Fahrzeugsicherheit soll noch im Herbst 2019 umgesetzt werden.